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Digitalisierung von Staat und Verwaltung – eine Großbaustelle

Die großen Fragen unserer Zeit – De-Karbonisierung, De-Globalisierung, Demografie und Digitalisierung – stellen unser Land und unsere Unternehmen gleichermaßen vor enorme Herausforderungen. Und die Ausnahmesituation der Corona-Pandemie, mit der sich unser Land seit fast zwei Jahren konfrontiert sieht, hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, um welche Themen wir uns vor allem kümmern müssen. Sehr bewusst sind uns in dieser Zeit die zum Teil eklatanten Versäumnisse bei der Digitalisierung unseres Landes geworden – etwa die völlig unzureichende Ausstattung der öffentlichen Verwaltung, die sich in der Pandemie als offensichtliche Schwachstelle erwiesen hat.

Besonders aufrütteln muss hierbei der internationale Vergleich. Denn Deutschland fällt im technologischen Wettrennen immer weiter zurück, auch und gerade innerhalb Europas. Bei nahezu allen digitalen und technologischen Themen in Verwaltung, Bildung und teilweise auch bei der Infrastruktur liegt Europas größte Industrienation deutlich hinter Ländern wie Dänemark und nur knapp vor Ungarn und Bulgarien.

Unsere Unternehmen bekommen die Auswirkungen dieses Rückstands massiv zu spüren. Viel häufiger als Privatpersonen stehen sie in Kontakt mit einer Verwaltungsbehörde – durchschnittlich etwa 200 Mal pro Jahr. Es liegt auf der Hand, dass die Wirtschaft besonders stark auf eine nutzerfreundliche, agile und digitale Verwaltung angewiesen ist. In den Betrieben wächst die Ungeduld – und das zu Recht: Denn Unternehmen agieren in einer internationalen und dynamischen Wirtschaftswelt. Sie investieren viel Geld, um die eigenen Abläufe digitaler und vernetzter zu gestalten. Doch mit dem Veränderungs-Tempo unserer Unternehmen, das der internationale Wettbewerb schlicht vorgibt, hält unsere Verwaltung häufig nicht Schritt – im Gegenteil: Viel zu häufig wird dort noch auf analoge Arbeitsweisen und Abläufe gesetzt. Die Folge: Die Kluft zwischen den digitalen Ausstattungsniveaus von privatem und öffentlichen Sektor wird größer. Für die Unternehmen wächst sich dies zu einem handfesten Standortnachteil mit negativen Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen aus. Gerade die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren machen nur allzu deutlich, dass die Prozesse für die enorme Transformationsgeschwindigkeit viel zu langsam sind. Auch hier kann und muss die Digitalisierung für deutliche Beschleunigung sorgen. Sonst schwindet langfristig auch das Vertrauen in den Staat.

Erheblicher Handlungsbedarf auf Bundesebene

Die neue Bundesregierung hat hier erheblichen Handlungsbedarf. Erforderlich ist eine Digitalisierungsstrategie aus einem Guss, zentral koordiniert auf Bundesebene. Ob dies in Form eines Digitalministeriums oder aber durch eine entsprechend mit erweiterten Befugnissen ausgestattete Einheit in einem Fachministerium geschieht, ist in der Konsequenz zweitrangig. Wichtig ist, dass das Thema Digitalisierung strategisch so aufgehängt ist, dass das zuständige Ressort die Federführung und Koordination für eine strategisch und konzeptionell schlüssige Digitalpolitik hat.

Die Organisation auf Bundesebene ist die eine, das Miteinander aller föderaler Ebenen die andere Erfordernis. Auch dabei haben sich während Corona größte Baustellen aufgetan: Hier Berichte von Gesundheitsämtern unmittelbar benachbarter Kreise, die aufgrund unterschiedlicher IT-Programme entweder gar nicht oder allenfalls analog Daten austauschen konnten, dort Verwaltungsvorgänge, die aufgrund mangelnder Digitalisierung einfach unerledigt liegen blieben. Zwei von vielen Beispielen, die die Misere besonders deutlich machen. Gewiss: So manche Kommune hat sich erkennbar auf den Weg gemacht, ihre digitalen Services auszubauen und ist dabei, neue Maßstäbe zu setzen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen, hilft aber schlussendlich nur dann, wenn in der Digitalisierung für alle Gebietskörperschaften gemeinsame Standards gesetzt werden. Ein Flickenteppich nutzt langfristig niemandem etwas. So muss beispielsweise das Format, in dem Daten und Dokumente abgelegt werden, bundesweit einheitlich sein, damit ein Austausch zwischen den Verwaltungen problemlos möglich ist. Das ist immens wichtig, um Bürgern und Unternehmern umständliche Behördengänge zu ersparen. Hier kann eine bundesweite Koordinierung viel Gutes bewirken.

Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen
© unternehmer nrw - Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e.V.

NRW könnte Benchmark werden

Nordrhein-Westfalen kann dabei eine Vorreiterrolle spielen. Mit der im April 2019 vorgestellten Digitalstrategie.NRW hat die Landesregierung ressortübergreifend 44 konkrete Vorhaben in den verschiedenen Handlungsfeldern – von Wirtschaft über Bildung bis hin zu digitale Infrastruktur – formuliert. Das Ziel ist so richtig wie auch ehrgeizig: Ein besonderer Schwerpunkt ist die zeitnahe Schaffung eines digitalen Verwaltungsportals für Bürger und Unternehmen. Außerdem soll die vollständige Digitalisierung der Landesverwaltung spätestens Mitte des Jahrzehnts abgeschlossen sein. An der Erreichung dieser Ziele wird sich unser Land messen lassen müssen. Das ist gut so, und ist allein deshalb sinnvoll, damit auch die zuweilen schmerzhaften Lehren der Corona-Pandemie konstruktiv einbezogen werden.

Aktuell wird die Digitalstrategie einem Update unterzogen. Das Aufgabenheft hierfür ist bereits geschrieben: Zeitpläne und Wege für die Zielerreichung deutlich konkretisieren, die Nutzerfreundlichkeit sicherstellen – und vor allem Bürokratie abbauen. Gerade hier muss die Politik richtig in die Speichen greifen. Das belegt etwa der Jahresbericht des Normenkontrollrats, wonach die Belastungen durch die Bürokratie seit zehn Jahren wachsen – ungeachtet anderslautender Bestrebungen. Allein drei Viertel der zunehmenden Bürokratie muss die Wirtschaft ertragen. Daher erwarten die Unternehmen völlig zu Recht, dass sie die Fortschritte konkret erleben können. Dafür muss aber jeder einzelne Verwaltungsvorgang gründlich überprüft werden. Gelingt dies, kann Nordrhein-Westfalen bei der Digitalisierung tatsächlich bundesweit zur Benchmark werden.

In einer global vernetzten und digitalisierten Welt, in der es um Echtzeit-Verbindungen geht, ist der Grad der Digitalisierung des Landes eines der bedeutenden Wettbewerbs-Assets für den Wirtschafts-, Industrie- und Investitionsstandort Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Es geht um nicht weniger als unsere Zukunft – denn es ist schwer vorstellbar, dass die innovativsten und zukunftsträchtigsten Geschäftsmodelle der nächsten Jahre in Staaten entstehen, in denen die Verwaltung und die Schulen bei der Digitalisierung den Anschluss verloren haben. Die Handlungsfelder also sind klar. Die Politik in Bund und Land muss sie jetzt mit Entschlossenheit, Tempo und Kreativität angehen.

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